HILFE ZUR SELBSTHILFE IN INDIEN

Ein Bericht von Lorenz Pohlmeier

Bis zu seinem Ruhestand Mitte 2020 war Lorenz Pohlmeier für Hörmann als unabhängiger Berater für die Projektentwicklung und -umsetzung in Gagillapur verantwortlich. In einem Bericht aus 2017 fasst er die anfänglichen Herausforderungen vor Ort und die ersten Erfolge des Engagements in der Region zusammen.

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Erste Bestandsaufnahme

Ich war dabei, als Martin J. Hörmann sich mit Mitgliedern des Vereins „Ingenieure ohne Grenzen“ in Steinhagen traf. Zwei Monate später rief er mich an und wollte mit mir nochmal über Indien reden. Es schien mir nicht schlüssig, was ich bei diesem Gespräch über die Situation in Gagillapur, dem Standort des indischen Hörmann Betriebes erfuhr. Ich schlug vor, mich auf eigene Kosten selbst vor Ort umzusehen. Dabei traf ich auch das indische Management von Shakti Hörmann – ehemals Shakti Met-Door.

Es gab bislang kein System in dem sozialen Engagement des Unternehmens. Mein Vorschlag war dann: Wenn ihr etwas Sinnvolles für den Standort tun wollt, fasst die Entwicklung des Ortes ins Auge.

Dazu gehört zunächst eine Bestandsaufnahme. Wir dürfen uns um Gottes willen nicht überheben. Man sollte nur an bestimmten Stellen ansetzen. Das wäre erst einmal die Verwaltung. Was kann man da verbessern? Wie sieht es mit der Bürgerbeteiligung in der Gemeinde aus, also mit der Zivilgesellschaft des Ortes. Wird die gehört? Kann die kontrollieren? Man sollte möglichst alle Ebenen – die überregionale Politik, die staatliche Verwaltung – in die Untersuchung einbeziehen. Es gibt in Indien Sozialprogramme verschiedener Art. Kommen die bei den Armen des Ortes an? Wichtig zu wissen ist auch, ob es bereits soziales Engagement anderer Akteure und anderer Firmen gibt.

Man kann nicht annehmen, dass eine Firma wie Hörmann ein ganzes Städtchen entwickeln kann. Davon können nur Impulse ausgehen und gewisse Kapazitäten aufgebaut werden. Es geht darum, einen Prozess in Gang zu bringen, der sich langfristig selbst trägt.

Frühere Förderungen

Sich als ausländisches Unternehmen in solche sozialen Prozesse einzubringen, ist in jedem Land schwierig. Dessen muss man sich in jedem Fall bewusst sein. Man muss immer erst eine Menge lernen. In unserem Fall war vorteilhaft, dass wir mit der Firma Shakti Hörmann und deren Management sehr erfahrene Mitstreiter vor Ort hatten und haben, die auch für Neues sehr offen sind.

Die ersten von Hörmann in der früheren Phase bewilligten Fördergelder gingen an die katholische Kirche. Und zwar für den fast fertig gestellten Bau einer örtlichen katholischen Kirche, eigentlich schon einer Kathedrale. Shakti Met-Door selbst hatte schon vor der Übernahme durch Hörmann einige Infrastruktur-Projekte in Gagillapur unterstützt. Nur sind die alle versandet. Sich in dieser Form zu engagieren, wollten sowohl die Shakti-Manager als auch Hörmann beenden.

Es gibt in Gagillapur ein Gelände, auf dem die Abwässer des Ortes enden. Das ist eine riesige und stinkende Kloake. Martin J. Hörmann wollte dazu beitragen, dass dieser Zustand beseitigt wird, d.h. eine vernünftige Kanalisation gebaut wird. Deswegen hatte er sich ursprünglich auch an die „Ingenieure ohne Grenzen“ gewandt. Das hätte ein mehrjähriges Projekt für Hörmann werden können.

Nun kam ich dazu und sah, dass der Wasserturm des Ortes, die Wasseraufbereitungsanlage, Dinge, die von Shakti Met-Door in den zurückliegenden Jahren bezahlt worden waren, nicht mehr funktionierten. Ich war und bin fest überzeugt, dass es in der Regel keinen Sinn hat, isoliert in ein Projekt der Infrastrukturverbesserung zu investieren. Auch in diesem Fall kam es mir so vor. Niemand fühlt sich verantwortlich für die Erhaltung oder auch nur für ein vernünftiges Betreiben von Anlagen, die keinen Eigentümer haben. Ich bekam dann auch vom Abgeordneten, der für den Bezirk zuständig ist, in dem die Wasseraufbereitungsanlage steht, gesagt: "Wann repariert ihr die endlich wieder?" Er empfand sie nicht als Gemeindeeigentum, sondern als Angelegenheit, für die Shakti Hörmann zuständig ist. Der Mangel an Mitwirkung und Verantwortungsbewusstsein kann nur über einen mühsamen Weg behoben werden.

Erste Schritte mit neuen Partnern

Wir fanden dann MAS, eine lokale Hilfsorganisation, die erfahren ist in der Zusammenarbeit mit Selbsthilfeorganisationen und einer Consulting-Organisation ähnelt. Sie hat ein gutes Renommee und schien in unserem Bereich schon Erfahrungen vorweisen zu können. So wollten wir sofort Zugang zur lokalen Situation bekommen. Doch auch mit MAS als Partner wurde uns klar, dass das Projekt kein Selbstläufer wird.

Der Anfang war um vieles schwieriger als gedacht. Wir mussten und müssen noch heute ständig nachbessern. Wir müssen die fehlenden Kapazitäten und Visionen durch Mitstreiter auffangen, die wir nun zusätzlich heranholen, wie zum Beispiel meine Mitarbeiterin Mrinalini Shastry. Und auch ich war häufiger vor Ort als anfangs geplant.

Der Einsatz von Mrinalini Shastry hat sich sehr bewährt. Sie hat entscheidend dazu beigetragen, die Führung von Shakti Hörmann mit der Arbeitsweise von MAS vertraut zu machen. Sowohl die Manager von Shakti Hörmann als auch Martin J. Hörmann sind von ihrer Arbeit beeindruckt. Indirekt hat Mrinalini das Management des Teams übernommen. Sie ist eine Honorarkraft und wird von Hörmann bezahlt. Sie hat zuvor für eine Agentur gearbeitet, die Aufträge der Regierung entgegennahm und ist dadurch auch politisch gut vernetzt.

Neu ist, dass die Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in Gang kommt. Wir können damit vom politischen Schirm deutscher Institutionen in Indien profitieren. MAS hat schon mit der Durchführungsorganisation GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) kooperiert. Alleine als Berater einer Privatfirma habe ich nicht genügend Prestige und Verhandlungsspielraum. Es wirkt sich daher positiv aus, wenn man von einer größeren Institution eingebunden wird und als Teil davon zu erkennen ist. Ohne politische Unterstützung ist es schwer, bei so einem Projekt weit zu kommen.

Mitarbeit in der Gemeinde

Durch die Bestandsaufnahme und unsere Ortskenntnisse wissen wir einigermaßen über die Infrastruktur von Gagillapur Bescheid. Wir haben eine Übersicht über die Selbsthilfegruppen, wir kennen deren Potenzial. Wir haben eine Dorfentwicklungsgesellschaft ins Leben gerufen, das sogenannte „Village Development Committee“, deren 22 Mitglieder von der Gemeinde gewählt wurden. Die repräsentieren nun tatsächlich die 10.000 Einwohner von Gagillapur und sind das Sprachrohr der Zivilgesellschaft.

Wir haben auch einen Überblick über die Lage der Ärmsten der Armen. Wir sind von Familie zu Familie gegangen und haben uns nach der Zahl und dem Alter der Familienmitglieder erkundigt. Wir haben nach dem Einkommen gefragt und nach der bestehenden sozialen Unterstützung. Wir helfen nicht, indem wir ihnen Geld geben, sondern indem wir ihnen einen Zugang zu den bestehenden staatlichen Programmen eröffnen.

Darunter sind zum Beispiel Analphabeten, die keinen Antrag ausfüllen können, denen wir helfen. Wir gehen mit ihnen zu Behörden und verfolgen, dass bewilligte Gelder sinnvoll eingesetzt werden. Wir haben das für 250 Leute begonnen und uns um 45 besonders intensiv gekümmert. Wir haben eine Liste von 150 Jugendlichen, die ihre Ausbildung verbessern wollen. Bei den 18 größten Firmen im und um den Ort herum haben wir uns nach den gesuchten Arbeitskräften erkundigt. Wir wollen die geförderte Ausbildung auf deren Bedarf abstimmen. Es gibt Nähkurse, Computerkurse und es wurde eine Zusammenarbeit mit dem Don-Bosco-Zentrum für Ausbildung in Gagillapur begonnen. Dabei haben wir nicht nur die örtliche Ausbildungsstätte im Auge: Don Bosco ist die größte Ausbildungseinrichtung in Indien, abgesehen vom staatlichen Schulsystem und verfügt über umfangreiche Ausbildungsstätten in Bombay. Da lassen auch die großen europäischen Unternehmen ihre Leute ausbilden. Mit der dualen Ausbildung, wie wir sie aus Deutschland kennen, hat Don Bosco zudem viel Erfahrung.

Das Ziel: Die Zivilgesellschaft stärken

Wir haben Vereinbarungen mit der Distrikt- und der Kreisverwaltung – das ist die staatliche Seite – sowie mit der Gemeindeverwaltung und schließlich gehört auch das neuerlich geschaffene Village Development Committee (VDC) dazu. Das „Wir“ ist also vielstimmig. In ihm drückt sich die Zivilgesellschaft aus, die der Gemeindeverwaltung gegenübersteht. Während sie bei uns in Deutschland sehr artikuliert agiert, fehlt sie in Indien weitgehend oder ist nur in Ansätzen vorhanden. Wir versuchen deshalb kontinuierlich die Zivilgesellschaft zu stärken und zugleich die Gemeindeverwaltung zu verbessern.

Im Ort besteht nun ein Büro, das von MAS und der Dorfentwicklungsgesellschaft getragen wird. Es wird von den zum Teil ehrenamtlich tätigen Dorfbewohnern genutzt, die Ansprechpartner für alle Themen sind. Das ist keine Hörmann Einrichtung und auch kein Büro von MAS. Das wollten wir überhaupt nicht, weil ja auch andere, die sich in Gagillapur engagieren möchten, daran partizipieren sollen.

Wir stoßen auch auf undurchsichtige Strukturen, z.B. bei der Wasseraufbereitungsanlage, die repariert worden ist. Sie wird aber nicht von allen begrüßt: Einige Dorfgrößen haben Tankfahrzeuge zum Wasserverkauf. Die Anlage ist also eine Konkurrenz für sie. Darum möchten die da gerne den Stecker ziehen. Damit müssen wir leben. Die Gemeindeverwaltung zahlt inzwischen den Strom für die Aufbereitungsanlage. Über sie haben wir jetzt auch kostenlosen Zugang zum Rohwasser, das wir bisher kaufen mussten.

Es finden also umfassende lokale Lernprozesse statt. Die Dorfbewohner lernen Schritt für Schritt, dass man etwas erreicht, wenn man sich erkundigt, selbstbewusst auftritt, wenn man sich was traut, zusammenhält und sich wehrt. Das ist der von uns angestrebte Prozess. Bei einem Treffen mit dem Village Development Committee wurde ich als Vertreter von Hörmann einst der Adressat der Klagen über MAS. Ich konnte aber klar machen, dass hier Eigenverantwortung gefragt ist und es nicht geht, Hörmann als Zahlenden und MAS als Ausführenden zu sehen, die man für alles verantwortlich machen kann. Die Dorfgemeinschaft muss selbst tätig werden, planen und realisieren. Dafür müssen sie sich um staatliche Gelder kümmern und auch selbst Geld sammeln. MAS ist kein Generalunternehmer, sondern eher dazu da, die Leute anzuleiten und zu unterstützen.

Der frühere Distriktchef hat einmal gesagt: „Gebt uns kein Geld für Infrastrukturverbesserung. Geld ist da. Ich kann es nur nicht sinnvoll ausgeben, wenn nicht vor Ort vernünftig geplant wird und keine ausreichenden Kapazitäten für die Nutzung, Wartung und Instandhaltung bestehen. Dabei kann mir Hörmann bzw. das durch Hörmann in Gang gebrachte Projekt helfen“.