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PORTAL

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ZUM THEMA: SPORT

STADIEN

KATHEDRALEN DES SPORTS

von Igor Markov

Das Olmypiastadion in Berlin war zwar

nicht das erste Stadion des renommierten

Hamburger Büros gmp Architekten von

Gerkan, Marg und Partner. Allerdings mar-

kierte es aufgrund der hohen öffentlichen

Aufmerksamkeit den Startschuss für viele

weitere internationale Stadionbauten.

Dass diese Art der Projekte auch immer

ein Politikum darstellt, ist den Architekten

bewusst. Doch dazu haben sie eine klare

Haltung.

Sport ist mehr als reine Muskelkraft: Er ist angewandte Intel­

ligenz, Strategie und List. Mit der Zeit hat er sich zu einem

prestigeträchtigen Ritual entwickelt – ja, sogar zu einem

Politikum. Bestechungsvorwürfe waren schon in Zeiten

der alten Griechen gang und gäbe, wie der Philologe und

Althistoriker Karl-Wilhelm Weeber vermutet: „Das wirkliche

Olympia war viel lebhafter, viel widersprüchlicher, viel komple-

xer. Da kamen Bestechungen und Schiebereien vor, da wurde

erbittert um den Sieg gestritten und lautstark angefeuert, da

floß der Schweiß in Strömen, da hatten die Schiedsrichter alle

Hände voll zu tun, um die Wettkampfregeln durchzusetzen,

da hielten Politiker und Rhetoren flammende Fensterreden,

da wurde der Sieg aus politischen Gründen verschachert, da

bemühte sich jede Stadt, ihr Stück vom Kuchen abzuschnei-

den, und da kam es in der Hitze des brutalen, schwerathleti-

schen Gefechts vereinzelt sogar zu tödlichen Unglücksfällen.“

1

Kollektive Symbole

Den Bezug zur Religion – die Olympischen Spiele fanden

ursprünglich zu Ehren Zeus statt – hat der Sport mittlerwei-

le verloren. Vielmehr wurde er für viele selbst zu einer Art

Ersatzreligion. Entsprechend sind Stadien laut Volkwin Marg

„[...] zu kollektiven Symbolen für Städte und Staaten geworden,

quasi Kathedralen unserer säkularisierten Massengesellschaft

[...]“.

2

Politisch ist der Sport jedoch nach wie vor. Auch

wenn von Seiten der großen Sportverbände das Gegenteil

behauptet wird: Die Sportler repräsentieren ihren Verein

und ihr Land. So wird heute noch der Sieg der deutschen

Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft 1954 in

der Schweiz sogar als Wiedergeburt der Nation bezeichnet.

Um ein ansprechendes Bild der Nation zu zeichnen, haben in

der Geschichte des Sports schon einige politische Führungen

mit zweifelhaften Methoden in den Sport eingegriffen – wie

zum Beispiel beim staatlich verordneten Doping der ehe-

maligen Deutschen Demokratischen Republik. Doch nicht

nur die großen Skandale, auch die kleinsten Gesten werden

politisch interpretiert. So fragte sich die heimische Presse

nach den Jubelbildern der Kanzlerin Angela Merkel bei der

Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika: Darf die das?

Fankultur

Historisch bedingt sind wir Deutschen etwas zurückhaltender,

wenn es um Massenaufläufe, Fanatismus und Nationalstolz

geht. Wie sollen wir umgehen mit einer Gruppendynamik,

die vor nicht einmal 100 Jahren das Land ins Chaos gestürzt

hat? Eine Chance, das beschädigte Bild der Deutschen

zu reparieren, war die Fußballweltmeisterschaft 2006 in

Deutschland – nicht das erste sportliche Großereignis nach

dem Zweiten Weltkrieg, aber eins mit augenscheinlich beson-

derer Strahlkraft: Das „Sommermärchen“ hat sich retrospektiv

zum Mythos verklärt, der nicht nur für den Fußball hierzulande

einen Einschnitt und einen Wandel darstellt – hin zu einer

selbstverständlichen, unverkrampften, aber nicht geschichts-

vergessenen Fankultur und öffentlichen Gemeinschaftlichkeit.

Propagandistisches Potenzial

Welche Rolle spielte bei dieser symbolträchtigen Veran­

staltung die Architektur? Immerhin sollten mehrere Spiele

und vor allem das Finale im Olympiastadion in Berlin stattfin-

den – einem Bau, der seinen Ursprung bereits im Jahr 1912

hat. Ursprünglich war vorgesehen, dieses Stadion für die

Olympischen Spiele 1936 umzubauen. Doch Reichskanzler

Adolf Hitler erkannte das propagandistische Potenzial der

Spiele und ordnete an selber Stelle einen monumentalen