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Global?

Grenzübergreifendes Bauen

Die Globalisierung der Wirtschaft stößt seit einiger Zeit an ihre Grenzen. Bleibt die globalisierte Architektur davon unbeeindruckt? Wir sprachen mit Klaus Schuwerk, dem neapolitanischen Architekten des norwegischen Nationalmuseums über seine Erfahrungen bei einem durchaus turbulenten und darin womöglich typischen Projekt über Länder- und Kulturgrenzen hinweg.

Architektur war bei genauer Betrachtung schon immer international – und nicht erst, seitdem Philip Johnson (damals noch kein Architekt, sondern Kurator) und Henry-Russell Hitchcock 1932 ihre ikonische New Yorker MoMa-Ausstellung „International Style“ tauften. Oder waren die darin gezeigten und erst recht die darauf folgenden, oft austauschbaren modernistischen Bauten in aller Welt noch gar nicht die wirkliche weltweite Konsequenz des Dessauer Bauhauses und der Architekturabteilung des Chicagoers Illinois Institute of Technology? Vielleicht sind stattdessen ja die weltweiten Bauten der aktuellen Marken-Architekturbüros erst die tatsächliche Nachgeburt der Moderne? Werden jedenfalls die Veröffentlichungen in einschlägigen Print- und Online-Medien als Maßstab genommen, dann blieb der kritische Regionalismus als Gegenbewegung letztlich ohne relevante Auswirkung.

Musterbeispiel für eine Menschen zugewandte Architektur: der Campo von Siena.
Austauschbare Skyline, die überall auf der Welt stehen könnte.

One-Style-Fits-All
Auf jeden Fall ist es eine Illusion, zu glauben, erst die klassische Moderne habe die Welt mit einer „one-style-fits-all“-Architektur-Auffassung überzogen. Es ist nur eine Frage, wie umfassend die Dimension der Welt definiert wird. Spanische und portugiesische Kolonisatoren exportierten ihre Bautraditionen in die Neue Welt. Im christlichen Europa und auch in anderen, religiös homogen geprägten Zonen der Erde wurden einheitliche architektonische Aus­prägungen verbreitet. Im christlichen Abendland folgten auf romanische und gotische Bauten Renaissance-Pro­jekte, barocke Paläste und Kirchen oder neoklassizistische Staatsarchitekturen. Lediglich das Tempo der Aus­breitung dieser Stile war regional unterschiedlich und der Detailreichtum abhängig von den jeweils örtlichen Möglichkeiten an Baumaterial und Budgets.

Gesetze des Marktes 
Doch egal ob Borromini in Rom oder Balthasar Neumann in Würzburg, ob kolonialer Barock in Lateinamerika oder gegenreformatorische Prachtbauten in konfessionell labil gewordenen Regionen – stets lag der Architektur eine mehr oder minder einheitliche Gesellschafts- oder Kulturtheorie oder eine philosophisch-religiöse Weltan­schauung zu Grunde. Diese Einheitlichkeit ist auch heute noch gegeben. Nur, dass es inzwischen nicht mehr über­geordnete gesellschaftstheoretische Überlegungen sind, die weltweit ihre bauliche Wirkung entfalten. Es sind schlichtweg die Gesetze des Marktes. Und wie im klassischen Einzelhandel gibt es auch im Bauen die Discount-Produkte und eben die echten Marken. Discount ist in jedem deutschen Wohn­gebiet zu beobachten, wo Mehrfamilienhäuser von der architektonischen Stange entstehen, die allein an Baufenstern, Landesbauordnungen und Gewinnmaximierung ausgerichtet sind. Ob diese Bauten noch irgendeinen Bezug zum Dorf, zur Stadt oder auch nur zur Region haben, ist den Beteiligten inzwischen völlig einerlei.

Marketing
Diesem architektonischen Discount steht die ­angebliche „Haute Couture“ gegenüber. Auch sie ist den Marktge­setzen unterworfen, peilt aber eine andere Zielgruppe an. Es geht um den Marketing-Wettbewerb der globalen Unternehmen und der konkurrierenden Weltmetropolen. Ein großer Teil jener spektakulären Hochhäuser, Museen oder Sportarenen, die weltweit entstehen, sind völlig austauschbar. Wie schön waren da noch die 1970er-Jahre, als Behnisch in München ein zusammenhängendes Olympiagelände entwarf, das erfolgreich den Zweck erfüllte, das Bild eines freundlichen Landes zu vermitteln und (bis zum Terroranschlag) Nationen aller Welt unter seinen Zeltdächern zu vereinen.

Austauschbar
Wenn heutzutage das „Vogelnest“-Stadion nicht in Peking stünde, sondern in Tadschikistan – was würde sich da­durch ändern? Wenn einige der Wolkenkratzer von Dubai plötzlich in Toronto aufragten, wem fiele es auf? Die weltweite Markenbotschaft bliebe wirksam – gleichgültig an welchem Ort das „Branding“ letztlich entstünde. Dass Projekte inzwischen derart austauschbar sind, muss allerdings keineswegs ein Zeichen von weltweiter Qualität sein. Wenn weder der Bauplatz noch die Nutzer und deren lokale Kultur oder der Ort des eigentlichen Entstehens eine Rolle spielen, dann gelten auch nicht mehr jene traditionellen und nach wie vor an den Hochschulen gelehrten Architekturbegriffe.

 

 

Oslos Oper (links), entworfen von Snøhetta, und das Munch-Museum (rechts) von estudio Herreros.
Mit dem Museum Astrup Fearnley ist auch Renzo Piano in Oslo vertreten.

Friktionen
Der in Deutschland geborene, in Stuttgart, Zürich und Madrid ausgebildete und seit vielen Jahren in der historischen Innenstadt Neapels wohnende Architekt Klaus Schuwerk hatte mit den Friktionen zu kämpfen, die sich aus diesem Spannungsfeld ergeben. Und als er Neapel verließ, um für sechs Jahre in Oslo, der Stadt seines Museums-Projektes, zu leben, da bemerkte er am eigenen Leib, dass sich die italienische Lebensrealität maximal von den norwegischen Gepflogenheiten unterscheidet. Vor allem aber sind es die Ziele und die Umstände des Bauens, die sogar innerhalb eines Kontinents massiv differieren. Und wenn sich dann schon die grundsätzlichen Überzeugungen unterscheiden, dann ist viel Arbeit zu erwarten.
Klaus Schuwerk sieht sich in dieser Hinsicht als „altvorderen“ Architekten – obwohl er persönlich (für diese Berufsgruppe) eigentlich noch jung an Jahren ist. Der große Unterschied: Schuwerk gehört zu jenen, die Architektur vor allem als kulturelle Aufgabe begreifen. Tatsächlich wird sie inzwischen jedoch allgemein eher als eine (über-)technisierte Herausforderung für Betriebswirtschaft und Projektmanagement definiert.

Drei Zentimeter
Entsprechend eindeutig ist deshalb auch Schuwerks Meinung über die Letztgenannten: „Wer diesen Beruf erfunden hat, der soll in der Hölle schmoren, bis ans Ende der Zeit.“ Und auch von der Dominanz der Technik und der dadurch nötig gewordenen Fachingenieure hält der Architekt wenig. Sein Kollege Michelangelo habe schließlich mit dem Petersdom in Rom ein wesentlich komplexeres Gebäude mit nur einem Assistenten realisiert. Und zur Rolle der Architektur ganz allgemein stellt er fest, dass diese Disziplin – wenn es um die Ziele von Marketing und Projektmanagements geht – inzwischen nur noch für „die letzten drei Zentimeter der Fassade“ zuständig sei. Tatsächlich sind es Projektmanagement und Fachingenieure, die es möglich machen, noch an den problematischsten Bauplätzen der Welt Bauten zu realisieren, die sich Marketingleute als Entwurfsidee bei den Architektur-Stars der Welt bestellt haben.

 

 

Elitäre Blase
Als Folge der Thesen der „Charta von Athen“ wurde der Globus seinerzeit mit einem Netz von dysfunktionalen Städten und Gebäuden überzogen, die nur mit viel Technik nutzbar gemacht wurden. Wer einmal das Glück hatte, Le Corbusiers urban gewordene Thesen in der indischen Regionalhauptstadt Chandigarh zu besichtigen, der hat vor Ort sofort verstanden, dass angeblich alternativlose Forderungen, die in einer elitären europäischen (Architektur-)Blase entstanden sind, keineswegs jenen Anspruch an Allgemeingültigkeit haben, der ihnen mitgegeben wurde. Der in Le Corbusiers Gesamtkunstwerk Chandigarh zu beobachtende Aufeinanderprall westlicher Architektur- und Gesellschaftsphantasien mit indischen Ansprüchen ist bemerkenswert. Dass sich dennoch architektonische Trends damals wie heute weltweit durchzusetzen vermochten, hat weniger mit kulturellen Identitäten zu tun. Damals in den 1950er-Jahren war es westliche Überheblichkeit. Heute sind es globale wirtschaftliche Vermarktungsinteressen, oft üppig vorhandenes Geld, hin und wieder der Selbstdarstellungsdrang autokratischer Systeme und die technischen Möglichkeiten, nahezu überall so gut wie alles als Projekt zu managen.

Globalisierte Architektur
Angesichts der aktuell sichtbar werdenden Bruchlinien in einer keineswegs globalisierten Welt ist es interessant zu beobachten, ob die globalisierte Architektur davon unberührt bleibt. Tröstlich ist es, dass es dennoch eine Fülle von Projekten gibt, die Schuwerks eher pessimistischer Weltsicht widersprechen. Sein norwegisches Nationalmuseum gehört dazu – ebenso wie jene Projekte bei Mailand, in Südtirol und in Österreich, die wir im Anschluss an das Interview zeigen. Es gibt sie noch, die „richtige“ Architektur.

Das Nationalmuseum Norwegens von Klaus Schuwerk.

Gespräch

Die Stellung der Architektur und das Ansehen der Architektenschaft unterscheiden sich von Land zu Land mitunter dramatisch. Klaus Schuwerk hat es hautnah erlebt. Er erzählt uns von seiner Erfahrung, als deutscher „architetto“ aus Neapel in Norwegen zu bauen.

In unserem Gespräch geht es ja um die Herausforderung, in einer globalisierten Welt zu bauen. Sie haben einen völlig anderen Ansatz und übertragen klassische, antike und urbane Architekturkonzepte auf das nordische Oslo.
Eigentlich gab es schon immer eine Globalisierung in der Architektur. Das heutige Problem ist eher, dass alles auf einem extrem niedrigen Niveau stattfindet. Es geht nicht mehr wirklich um Architektur. Es geht nur noch ums Branding. Früher war die Architektur wichtig. Dann wurde auf einmal der Architekt selbst wichtig. Und dann wurde er zum Star. Inzwischen hat es keine Bedeutung mehr, was er baut. Es geht um die Bürogröße und die Zahl der Veröffentlichungen. Die Logik des Journalismus ist die stete Suche nach dem Neuen. Über die subtilen Dinge, die über eine sehr lange Zeit gleich bleiben, lässt sich wenig schreiben. Das pure Branding geht so weit, dass in New York das World Trade Center von Libeskind letztlich sogar ohne Libeskind gebaut wurde.

In Oslo gibt es auf engstem Raum unterschiedlichste neue und sehr internationale Projekte. Snøhetta baute die Oper, Renzo Piano aus Italien ist mit dem Astrup Fearnley Museum vertreten, estudio Herreros aus Spanien hat das Munch-Museum realisiert – und Sie aus Italien und Deutschland das Nationalmuseum.
Insgesamt ist die zeitgenössische Architekturqualität gegenwärtig eine Asymptote gegen Null. Das Allermeiste, was weltweit gebaut wird, ist totaler Schrott. Und inzwischen tendieren auch die großen Projekte zu Schrott. Kjetil Trædal Thorsen von Snøhetta hat mir sehr weitergeholfen, im norwegischen Dschungel zu überleben. Seine Oper, die Sie erwähnt haben, ist aber tatsächlich eher eine ikonenhafte Skulptur, die von außen betrachtet, bewundert und umrundet werden soll. Der Mensch ist hier nicht in der Mitte. Aus meiner italienischen Perspektive sollte bei der Architektur jedoch der Mensch im Zentrum stehen. In italienischen Städten gibt es immer die Piazza, die zur Bühne für die Menschen wird. Was heute an Architektur von öffentlichen Auftraggebern entsteht, wird jedoch vorwiegend zum Nutzen des Markenimages der jeweiligen Stadt gebaut – und nicht für die darin lebenden Menschen. Die Städte suchen leider nach Architekturattraktionen nach dem Vorbild von Bilbao. Und das Munch-Museum war zwar unfassbar teuer – hat aber das Aussehen und die Qualität eines Terminals an einem Provinzflughafen.

Ihr Gebäude für die norwegische Nationalgalerie erfüllt den international verbreiteten Wunsch nach Marketingnutzen eher nicht?
Nein. Nicht in diesem Sinne. Architektur wird auf diese Weise total missbraucht. Um es philosophisch zu betrachten – schon in der Antike galt: Das Unnütze hat einen viel höheren Stellenwert als das Nützliche. Damals galt: Das Nützliche ist eher zu verachten, weil es nur dient. Das Unnütze ist das, wozu Menschen fähig sind. Und Architektur ist inhärent eines dieser Dinge. 

Und wie steht es um die Funktion?
Der Grundfehler ist, nachweisen zu wollen, dass Architek­tur einen Nutzen hat. Das ist Unfug. Architektur ist eine Sache, die man entweder will – dann ist man ein Mensch. Oder die man nicht will – dann ist man ein Tier. So einfach war das in der Vergangenheit. Nur deshalb gab es diese immensen Anstrengungen, große Architektur zu machen.

Gibt es einen Unterschied zwischen Nordeuropa und Italien?
Die Doktrin wird vom Norden bestimmt und von deren Projektmanagern. Wer diesen Beruf erfunden hat, der soll in der Hölle schmoren, bis ans Ende der Zeit. Der Architekt ist inzwischen nur noch der Spezialist für die letzten drei Zentimeter der Fassade und für die zündende Idee, die sich gut verkaufen lässt. Ein Beispiel dafür ist dieses Barcode-Projekt in Oslo. Dort wurde ein Strichcode in einen Bebauungsplan übersetzt. Ein Haus entlang der Bahnstrecke ist nun zum Beispiel fünf Meter breit, das andere 20 Meter, das dritte vielleicht acht Meter. Ein Schwachsinn hoch fünf. Denn die im Laufe von fünftausend Jahren entwickelte Systematik bei Gebäudedimensionen wurde aufgegeben. Der nächste Clou: Es wurde unter verschiedensten Architekturbüros aufgeteilt, und dann wollte jeder natürlich noch mehr Aufmerksamkeit auf sich lenken. Diese Welt verachte ich zutiefst. Am Ende will keiner wissen, ob das gut oder schlecht ist.

Und die Abläufe in der planerischen Praxis der einzelnen Länder?  
Gesetzestreue ist auch so ein Spezialthema. In Italien versucht man sinnlose Gesetze schon von vornherein zu umgehen. In Deutschland versucht man sich innerhalb der Gesetze zu bewegen und irgendwie noch was Sinnvolles draus zu machen. In Norwegen hält man sich sklavisch und ohne Wenn und Aber an jedes Gesetz – auch wenn es für das Projekt noch so sinnfrei ist.

Wie unterscheidet sich das berufliche Ansehen in den Ihnen bekannten Ländern?
In Italien hat der Architekt noch ein soziales Ansehen. Da ist man jemand. Man wird in der Bar als architetto angesprochen. Man ist jemand, weil man quasi Kollege von Michelangelo und Brunelleschi ist – auch dann, wenn man noch keine Gartenmauer gebaut hat. Und innerhalb der Projekte werden seine Anweisungen befolgt. Dennoch gibt es Qualitätsprobleme. Es gibt Korruption und eine Überbürokratisierung. Die Kämpfe in Italien sind unfassbar – aber ganz anders als in Norwegen.

Und welche architektonischen oder bautechnischen Herausforderungen gibt es in Norwegen?
Dort ist Geld nicht das Problem. In Norwegen wird es allerdings ganz anders verwendet. Dort muss sich jede Tür elektrisch bewegen, und jeder technische Komfort muss eingebaut werden. Sie wollen alle Technik-Scherze der Welt haben – aber wenn es darum geht, statt des Marmor-Imitats aus Plastik echten Marmor zum selben Preis einzusetzen, dann gibt es Probleme. In Italien gibt es noch sehr viele kleine Büros – aber es können nur noch die großen Büros an Wettbewerben teilnehmen. Renzo Piano ist ein Geschäftsmann aus Genua, dessen Geschäft zufälligerweise Architektur ist. Außerdem wurde er in der falschen Zeit geboren. Sein Centre Pompidou ist ein Manifest der Nichtarchitektur. Massimiliano Fuksas wird hier ganz allgemein nur Luftikus genannt, denn er entwirft Gebäude, die nicht gebaut werden können.

In der norwegischen Nationalgalerie gibt es auch eine Architekturabteilung. Doch eigentlich taucht dort als großer, verstorbener Architekt nur Sverre Fehn auf. Gibt es keine norwegische Architekturtradition?
Norwegen hat als neureiches Land ein gigantisches Problem. Es muss Dinge können, die es zuvor nicht konnte. Architektur zu können gehört dazu. Wenn nicht mal die alten neureichen Länder dies können, wie soll es ein Land können, das bis vor Kurzem bettelarm war? Für mich fängt Architektur in der Philosophie an. Und ohne theoretische Grundlage kann ich keine Architektur machen.

Unterscheidet sich Ihre architektonische Arbeitsweise von der Methodik in Norwegen?
Bei meinen Vorträgen in Norwegen stieß ich auf größte Verwunderung, weil meine Herangehensweise dort völlig unbekannt war. Ich bin in dieser Hinsicht hoffnungslos veraltet. Gleichzeitig ist Norwegen das modernste Land, das ich kenne.

Und im internationalen Vergleich?
In Deutschland koordiniert der Architekt die Ingenieure und sorgt dafür, dass die Fachingenieure keinen Mist bauen. Dies sollte nicht seine Aufgabe sein. Vor hundert Jahren gab es keine Ingenieure. Heute werden die Dinge so verkompliziert. Die deutschen Ingenieure, die wir mitgebracht hatten, wurden in Oslo sofort rausgeworfen. Die Norweger wollten Norweger. Doch was deren Computer nicht kann, das können diese vielen Ingenieure auch nicht. Michelangelo hat ein wesentlich komplizierteres Gebäude als das Nationalmuseum mit nur einem Assistenten realisiert.

Gab es Friktionen unter dem gemischt-nationalen Personal im Büro?
Ich habe es damals nicht geschafft, italienisches Personal ins Büro nach Norwegen zu bewegen, und bin deshalb den portugiesischen Mitarbeiterinnen sehr dankbar. Die Italiener haben eine tiefe Verachtung gegen den hohen Norden und die Lebensweise. Obwohl sie gleichzeitig dem Skandinavien-Mythos anhängen, dass dort der Kom­munismus und der Sozialstaat funktionieren. Wer aber jemals dort war, der sagt hinterher, dass ihm 500 Euro in einem Architekturbüro in Neapel lieber sind als 5000 Euro in einem Architekturbüro in Oslo. Und dann gab es eben die Portugiesen, die das „Italienische“ sozusagen mit übernommen haben und die nötige Leichtigkeit rein­brachten.

Sie haben sechs Jahre lang mit Ihrer italienischen Familie in Oslo gelebt. Ist es ein maximaler Kulturschock, wenn man aus der Innenstadt Neapels nach Oslo zieht?
Extremer geht es nicht. Meine Frau hat es recht gut verkraftet. Sie ist zwar Rechtsanwältin, musste aber quasi als Psychoanalytikerin für meine geistige Gesundheit sorgen. Für meine Kinder war es eine erhebliche Erweiterung des Horizonts. Sie können jetzt norwegisch – wobei es wirklich sehr einfach zu lernen ist.
Von Neapel nach Oslo zu ziehen, das bedeutet vor allem, von einer jahrtausendealten, sehr komplexen Hochkultur in eine sehr, sehr junge Kultur zu wechseln. Die norwegische Sicht ist, dass die Süditaliener einfach nur arm sind. Deren unglaubliche Kultur wird einfach übersehen. Aber der protestantische Norden bestimmt leider, wohin die Reise geht. Ich habe auch in Zürich gelebt, das zusammen mit Oslo eine Spitzenposition in den verschiedenen Rankings der lebenswertesten Städte einnimmt. Neapel liegt da vermutlich eher auf dem vorletzten Platz. Aber meine persönliche Meinung ist, dass man diese Rankings am besten einfach auf den Kopf stellt.

Es ist eine Frage, wie Lebensqualität definiert wird?
Wenn Grün in der Stadt wichtig ist – was für einen Italiener keinen Sinn macht – dann mag es so sein. Wenn die Pünktlichkeit der Straßenbahn zählt, dann kann Neapel sicher nicht mithalten. Hier kommt die Bahn, wenn man es am wenigsten erwartet. Aber Lebensqualität macht sich eben an anderen Parametern fest.

Architekt: Klaus Schuwerk
geboren 1967 in Ehingen,
studierte Architektur in Stuttgart, Zürich und Madrid. Seine Selbstständigkeit startete er in Berlin. Was Leben und Architektur angeht, fühlte er sich allerdings eher Italien zugewandt, und so zog er einige Jahre später nach Neapel. Für das Nationalmuseum in Oslo tauschte er seine Wahlheimat für eine über­schaubare Zeit mit dem hohen Norden, ohne Neapel aus den Augen zu verlieren. Heute ist er wieder im warmen Süden zuhause.
www.schuwerk.com

Autor: Dr. Dietmar Danner
geboren 1959 in Oberndorf am Neckar,
ist ausgebildeter Tageszeitungsredakteur, studierte Architektur und wurde mit einer Arbeit über Geschmacksbildungsprozesse in der Architektur promoviert. 25 Jahre arbeitete er als Redakteur bei verschiedenen Design- und Architekturzeitschriften – einen Großteil davon als Chefredakteur / Verlags­leiter von AIT und xia. 2013 verabschiedete er sich in die Selbstständigkeit, gründete mit Architect’s Mind eine Kommunikationsagentur, veranstaltete weltweit Kongresse und Workshops. Seit 2022 befindet er sich im Ruhestand und ist als freier Autor und Berater tätig.

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