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Neulich in der ...

Barker Heide

Acht Stunden im Büro sitzen? Nicht mit Birgit Voigtländer. Ihr Arbeitsplatz ist nicht von Architekten geschaffen – sondern von Mutter Natur. Die Wanderschäferin hütet eine ihrer Herden derzeit in der Barker Heide.

70 Stunden pro Woche, ein überschaubares Gehalt: Wieviel Enthusiasmus braucht der Beruf?
Enthusiasmus benötigt es reichlich. Meinen Stundenlohn brauche ich mir gar nicht erst auszurechnen – da komme ich nicht mal auf den Mindestlohn. Trotzdem: Der Beruf macht mir Spaß. Ich bin viel draußen, zusammen mit den Schafen und den Hunden. Das ist einfach mein Leben. Aber das muss man eben auch wollen.

Bleibt da Platz für Freizeit und Familie?
Es bleibt ja nicht beim Hüten der Schafe – es gibt noch tausend andere Sachen zu erledigen. Zum Glück habe ich Mitarbeiter. Die Arbeit verteilt sich also auf mehrere Schultern. So richtig viel Zeit übrig bleibt dennoch nicht. Es gibt aber Phasen, in denen weniger los ist. Ab Herbst ist es etwas entspannter, da wir dann nicht mehr hüten müssen. Anders im Frühjahr, da steht Lammzeit und Scheren an. Wochenende kenne ich nicht. Vielleicht habe ich zwei, drei Tage im Monat mal frei. Für Freizeit bleibt also wenig Zeit. Dafür kommen mich ab und zu Freunde bei der Herde besuchen.

Baut man eigentlich Beziehungen zu seinen Tieren auf? Und wie verträgt sich das mit dem Schlachten der Lämmer?
Jedes Schaf hat seinen eigenen Charakter. Natürlich lernt man seine Tiere kennen und baut dadurch auch eine Beziehung zu ihnen auf. Je länger man die Tiere hat, desto intensiver wird das. Deshalb fällt es mir auch leichter, mich von einem Lamm zu trennen als von einem ausgewachsenen Schaf. Die Lämmer, die mir trotzdem ans Herz gewachsen sind, behalte ich allerdings. Es sei denn, es sind Bocklämmer, da stellt sich die Frage nicht. So hart es klingt: Sie sind einfach „über“ – sie produzieren keine Lämmer, und darauf basiert die Zucht.

Emotionale Diskussion: Wie kann man die Koexistenz von Wölfen und Schafen realisieren?
Schwierig. Wir Weidehalter brauchen vor allem mehr finanzielle Unterstützung für den erhöhten Aufwand, den wir wegen der Wölfe betreiben müssen, und auch für Material wie höhere Zäune. Die werden eigentlich vom Land gestellt. Doch das ist träge. Ich habe im März einen Antrag auf diese sogenannten Wolfabwehrzäune gestellt, bis heute aber keinen Bescheid erhalten. Nicht anders bei der Entschädigung von gerissenen Schafen. Zehn Tiere habe ich verloren, und auch hier ist bislang kein Geld geflossen. Das muss besser laufen. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass Wölfe, die sich auf Weidetiere spezialisiert haben, geschossen werden dürfen. Andere Möglichkeiten des Herdenschutzes sind nicht praktikabel. Ich habe rund zehn Gruppen laufen, das sind zwischen 80 und 150 Schafe. Für jede dieser Herden eigene Hunde oder Esel zur Wolfsabwehr zu trainieren, sie zu ernähren und zu pflegen, ist für mich finanziell nicht leistbar.

Auch einige Ziegen gehören zur Herde.
Obacht! Bald ist von dem hohen Gras nicht mehr viel übrig.
Eine wichtige Aufgabe der Schäferei ist die Landschaftspflege.
Rund zweihundert Tiere grasen in der Barker Heide.

Die Politik hat also Nachholbedarf?
Von der Politik kommt definitiv zu wenig. Die EU würde zwar Mittel für eine sogenannte Weidetierprämie zahlen, Deutschland ist aber das einzige Mitglied, das diese Prämie bislang nicht abruft. Das Land in Person von Landwirtschaftsminister Jan Philipp Albrecht versucht zwar uns zu unterstützen, allerdings kommt er auf Bundesebene bisher damit nicht durch. Nach Protesten der Schäfer im Herbst vergangenen Jahres ist nun zum Glück etwas Bewegung in die Sache gekommen. Ende Juni hat der Bundesrat eine Beschlussempfehlung an den Bundestag gegeben, diese Prämie nun endlich einzuführen. Diese 30 Euro pro Schaf und Jahr wären schon mal eine Hilfe. Jetzt muss der Bundestag dem „nur“ noch zustimmen.

Kleine Schäfereien leben oft am Existenzminimum. Sie haben einen etwas größeren Betrieb. Welche Rolle spielt dabei das Direktmarketing Ihrer Produkte?
Bisher eine recht geringe, obwohl wir das Fleisch deutschlandweit verschicken. Wir versuchen es seit vier Jahren. Langsam nimmt die Nachfrage zu. Aber die meisten Lämmer gehen immer noch zum Händler. Viel bleibt da nicht für uns hängen.

Mit Wolle ist kaum Geld zu verdienen. Woher kommt das – der Trend geht doch zurück zu natürlichen Rohstoffen?
Das hat verschiedene Gründe. Die Wollart ist einer. Merino-Wolle wird für hochwertige Kleidungsstücke gerne genommen. Der Preis dafür ist in Neuseeland so hoch wie lange nicht. Dann gibt es dort auch eine entsprechende Logistik und Industrie – das ist hierzulande anders.

Dabei könnte Schafwolle auch in der Architektur eine Rolle spielen. Warum ist Dämmung aus Schafwolle nicht viel populärer?
Schafwolle ist ein hervorragendes Material. Ich habe selbst schon Bauwagen damit gedämmt. Wolle hat einen Dämmwert von 0,035-0,045 W/mK und kann rund 30 Prozent ihres Eigengewichts an Feuchtigkeit aufnehmen. Durch den hohen Lufteinschluss verliert sie ihre Dämmwirkung selbst dann nicht. Außerdem besteht Schafwolle aus Keratin und kann dadurch Schadstoffe wie Ozon oder Formaldehyd abbauen. Warum ihr Marktanteil nur bei 0,5 Prozent liegt, ist mir ein Rätsel. Dem Rohstoff fehlt vermutlich einfach die Lobby.

Schafe werden auch zur Landschaftspflege genutzt – teilweise sogar im städtischen Bereich. Was ist der Vorteil gegenüber dem herkömmlichen Rasenmäher?
Blühstände bleiben erhalten. Pflanzen können also Samen produzieren, die teilweise durch die Schafe auch im Gelände verteilt werden. Dadurch leidet die Insektenvielfalt nicht unter der Landschaftspflege. Außerdem lassen sich mithilfe von Schafen Böden ausmagern. Da Schafe vor allem abends und nachts koten, kann der Nährstoffeintrag der Weideböden gesteuert werden. Auf diese Weise entstehen Böden, auf denen Pflanzen wachsen, die auf normal bewirtschafteten Wiesen gar keine Chance zum Überleben hätten. Eine Landschaft wie die Lüneburger Heide ließe sich ohne Schafe kaum erhalten.

Viele Menschen suchen eine Auszeit – einige landen für eine bestimmte Zeit auf Almhütten. Kann sowas Ähnliches – oder auch ein Freiwilliges Ökologisches Jahr – auch ein Schäfer anbieten?
Für ein Freiwilliges Ökologisches Jahr muss man ein allgemeinnütziger Verein sein. Das bin ich ja nicht. Dafür bin ich als Host beim Netzwerk WWOOF angemeldet, einer Organisation für Eco-Tourismus der ersten Stunde. Die Gäste helfen für eine begrenzte Zeit bei der Arbeit und erhalten gegen Kost und Logis Einblicke in die ökologische Landwirtschaft.


Birgit Voigtländer
geboren 1966 in Hamburg, DE
besuchte nach ihrem Realschulabschluss zunächst die Fachschule für Bautechnik und anschließend die Fachschule für Sozialpädagogik in Hamburg, entschied sich dann aber für ein alternatives Lebensmodell und zog auf einen Selbstversorgerhof nach Ostfriesland. Anschließend half sie für etwa ein Jahr bei der Schäferei Seebürger in Preten gegen Kost und Logie. 1992 machte sich Birgit Voigtländer mit 250 Mutterschafen in Mecklenburg-Vorpommern selbstständig. 1997 zog sie mit nun schon 1000 Mutterschafen nach Schlesweig-Holstein und leitete den Betrieb zusammen mit Daniel Kley. Im Jahr 2000 macht sie schließlich ihren Abschluss als Tierwirtin Fachrichtung Schafe und führte den Betrieb alleine weiter. Seit kurzer Zeit betreibt sie Direktmarketing von Schafprodukten auf ihrer Webseite.
www.schaeferei-aukrug.de

Birgit Voigtländer
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